„Perspektive Heimat“? Die neue Verbindung von Entwicklungspolitik und Rückkehrmaßnahmen für abgelehnte Asylsuchende

Seit 2017 ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Teil der deutschen Rückkehrpolitik. Das Programm „Perspektive Heimat“ soll unter anderem die Reintegration abgelehnter Asylbewerberinnen und -bewerber in ihren Herkunftsländern fördern. Der Verdacht, dass die deutsche staatliche Entwicklungszusammenarbeit zur Erfüllungsgehilfin einer restriktiven Rückkehrpolitik avanciert, ist nach knapp zwei Jahren Programmlaufzeit allerdings keineswegs aus der Welt.

 

Die Ausreisezahlen abgelehnter Asylsuchender zu erhöhen, ist fester Bestandteil der deutschen Migrationspolitik. Neben der Überwindung sogenannter Vollzugsdefizite bei Abschiebungen soll das vor allem durch Maßnahmen „freiwilliger Rückkehr“ geschehen: Förderprogramme werden ausgebaut, staatliche Rückkehrberatungen an Ausländerbehörden etabliert und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) informiert schon bei der Asylantragsstellung darüber, auf welche Weise die Rückkehr ins Heimatland gefördert werden kann.

Diese ordnungspolitischen Maßnahmen entwickelt in Deutschland federführend das Bundesinnenministerium (BMI). Aber auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist zum Akteur der deutschen Rückkehrpolitik geworden. „Kohärenter Ansatz“, nennt das die Bundesregierung, von einer „gemeinsamen Rückkehrinitiative“ ist die Rede: Das BMI soll sich um die Rückkehr kümmern, das BMZ um die Reintegration. Die „Rückkehr in Würde“ wurde damit in den letzten Jahren einer der Lieblingsbegriffe der deutschen Politik der geförderten Rückkehr.

Ziel des Beitrags ist eine kritische Bestandsaufnahme dieser migrationspolitischen Entwicklung, insbesondere unter Berücksichtigung der Maßnahmen des BMZ sowie der Frage, wie kohärent eine „gemeinsame Rückkehrinitiative“ zwischen Ordnungs- und Entwicklungspolitik gestaltet werden kann bei grundsätzlich sehr verschiedenen Sachzwängen der Ressorts.

 

Das Programm Perspektive Heimat

Die zentrale Maßnahme dieser neuen Verbindung von Entwicklungspolitik und der Rückkehr abgelehnter Asylsuchender ist das Programm Perspektive Heimat, das seit März 2017 von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt wird . Bis 2020 sind 150 Mio. Euro Projektvolumen vorgesehen. Für die GIZ bedeutet die Hinwendung zum Thema Rückkehrmigration von Geflüchteten einen „Paradigmenwechsel“ (Engler 2017: 4), da sie zuvor nur die Rückkehr von Hochqualifizierten betreute.

Ein Teil von Perspektive Heimat ist eine „Deutschland-Komponente“. Deren Ziel ist es, in Kooperation mit den bestehenden Rückkehrberatungsstellen das Thema Reintegration im Beratungsprozess zu stärken. „Reintegrations-Scouts“ der GIZ unterstützen dazu Rückkehrberatungsstellen in Deutschland mit internationaler Expertise und Kontakten in die Herkunftsländer. Darüber hinaus delegiert die GIZ „reintegrationsvorbereitende Maßnahmen“ an private und zivilgesellschaftliche Träger zur beruflichen Qualifizierung von potentiellen Rückkehrerinnen und Rückkehrern. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch eine Homepage für Beratungsstellen und potentielle Rückkehrerinnen und Rückkehrer.

Neben diesem für die GIZ eher untypischen Inlandseinsatz fokussiert das Programm auf Reintegrationsmaßnahmen in ausgewählten Herkunftsländern, namentlich Ägypten, Afghanistan, Albanien, Ghana, Irak, Kosovo, Marokko, Nigeria, Senegal, Serbien und Tunesien, ab 2019 außerdem noch Gambia und Pakistan. Für die Auswahl relevant war, inwiefern in diesen Ländern auf bereits bestehende Projekte der Entwicklungszusammenarbeit aufgebaut werden kann und inwiefern auch darüber hinaus Infrastruktur und Sicherheitsaspekte einen schnellen Programmstart ermöglichten. Die Anzahl der gestellten Asylanträge spielte, insbesondere hinsichtlich der afrikanischen Staaten, offensichtlich eine untergeordnete Rolle. Dass der zuständige Minister Gerd Müller (CSU) mit Blick auf die Auswahl generell von „Hauptherkunftsländern“ spricht, ist deshalb irreführend.

Im Rahmen von Perspektive Heimat wurden bestehende lokale Programme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit für die Zielgruppe der Rückkehrerinnen und Rückkehrer geöffnet sowie „Migrationsberatungszentren“ gegründet. Sie sollen nicht nur die Reintegration von Zurückgekehrten betreuen, sondern auch die lokale Bevölkerung über Beschäftigungsmöglichkeiten in den jeweiligen Herkunftsländern informieren, um „irreguläre“ Migration zu reduzieren sowie über mögliche Wege der legalen Migration nach Deutschland aufklären.

 

Die Migrationsberatungszentren: Eine gemischte Bilanz

Die bisherige Bilanz der Migrationsberatungszentren ist ambivalent: Deutlich wird, dass nur Wenige nach ihrer Rückkehr in ihre Herkunftsländer in Jobs vermittelt werden können. In Marokko und Ghana etwa, wo seit September bzw. Dezember 2017 Zentren bestehen, konnte bis Mitte 2018 keine zurückgekehrte Person in Beschäftigung vermittelt werden. Im Senegal war es eine Person, in Tunesien sechs. Auch in Albanien und Serbien, die mit 10.385 bzw. 5.293 Personen im Jahr 2017 jeweils sehr hohe Rückkehrzahlen aus Deutschland verzeichnen (Abschiebungen und geförderte Ausreisen), waren es nur 28 bzw. 82. Lediglich Kosovo sticht mit 749 Personen hervor, die in Beschäftigung vermittelt wurden, wobei auch hier die Rückkehrzahlen bei über 4.000 Personen liegen.

Die zweite offizielle Aufgabe der Zentren ist es, über legale Migrationswege nach Deutschland zu beraten. Hierzu verweist die Bundesregierung lediglich knapp darauf, dass eine solche Beratung stattfinde, aber konkrete Zahlen nicht erhoben würden. Stattdessen wird betont, dass bislang 84.000 Personen aus allen Zielgruppen des Programms (also Einheimische und Zurückgekehrte) im Rahmen von Perspektive Heimat in Programme der deutschen staatliche Entwicklungszusammenarbeit „vermittelt“ und 142.000 Personen „unterstützt“ wurden. Was genau „vermittelt“ und „unterstützt“ im Detail bedeutet, ist unklar.

Für Zahlen wie diese muss auf parlamentarische Anfragen zurückgegriffen werden, da ansonsten keine Statistiken einsehbar sind. Auffällig an den Antworten auf diese Anfragen ist, dass das BMZ das Programm Perspektive Heimat im Grunde gar nicht als Rückkehrprogramm verstanden wissen möchte, sondern an vielen Stellen klarstellt, dass es sich hier nur um eine Komponente handelt, das Programm aber für alle Menschen in den entsprechenden Herkunftsländern offen ist.

 

Ordnungspolitik vs. Entwicklungspolitik

Für diese Betonung gibt es verschiedene Gründe: Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere umgesetzt durch die GIZ, kann keine Programme auflegen, die sich exklusiv auf die Zielgruppe der Rückkehrerinnen und Rückkehrer konzentrieren. GIZ-Mitarbeitende erwähnen in diesem Zusammenhang gerne den „Do-No-Harm-Ansatz“, nach dem entwicklungspolitische Maßnahmen nicht zum Nachteil bestimmter Bevölkerungsgruppen gestaltet werden dürfen. Vor allem deshalb wird immer wieder darauf verwiesen, dass im Rahmen von Perspektive Heimat lediglich bestehende Programme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit für Rückkehrerinnen und Rückkehrer „geöffnet“ wurden.

Darüber hinaus versuchen BMZ und GIZ nicht als Akteur der deutschen Ordnungspolitik aufzutreten, deren Teil sie ja durch Perspektive Heimat notwendigerweise geworden sind. Das betrifft insbesondere das Problem der nur vermeintlichen Freiwilligkeit abgelehnter Asylsuchender, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Ganz ohne begriffliche Akrobatik geht es deshalb bei der GIZ nicht: Eine Rückkehr ist dann etwa „voluntary but unavoidable“ oder gar „widerwillig-freiwillig“ (Programmvorschlag der GIZ, nicht online verfügbar). Es bestehe außerdem ein „hohes Reputationsrisiko“ (ebenda), wenn eine Vermischung der entwicklungsorientierten Unterstützung von freiwilliger Rückkehr und Reintegration mit Zwangsrückführungen stattfinde oder öffentlich angenommen werde. Außerdem sei ein geringer entwicklungspolitischer Nutzen von weitgehend unfreiwilligen sowie meist geringqualifizierten Rückkehrenden zu befürchten, da deren berufliche Reintegration besonders schwierig ist. Aus Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit ist die Konzentration auf die Erhöhung der Ausreisezahlen deshalb problematisch.

Das BMZ begegnet dieser Gratwanderung mit Pragmatismus. Dass unter „freiwilliger Rückkehr“ insbesondere abgelehnte Asylsuchenden subsumiert werden, ändere nichts am „konkreten Bedarf bei der Wiedereingliederung“. Überhaupt sei es lediglich das Ziel, die Rückkehrpolitik durch die Entwicklungspolitik zu „ergänzen“. Bei einem Fachgespräch mit Nichtregierungsorganisationen im Herbst 2018 betonte ein BMZ-Vertreter, dass es ein politischer Fehler sei, das Thema Rückkehr den politischen Hardlinern zu überlassen: Es sei nun einmal ein soziales Phänomen, das es gelte, entwicklungspolitisch zu gestalten.

 

Ein „kohärenter Ansatz“?

Es bleibt allerdings bei dem Problem, dass der „kohärente Ansatz“ von BMZ und BMI stark an Kohärenz einbüßt in Anbetracht der unterschiedlichen Sachzwänge der beiden Ressorts. Denn wie vereinbar kann das Ziel der Erhöhung der Ausreisezahlen tatsächlich mit Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit sein, die offiziell auf nachhaltige Verbesserungen in den sogenannten Partnerländern hinarbeitet? Darüber hinaus könnte es entwicklungspolitisch sinnvoller sein, abgelehnten Asylsuchenden eine Ausbildung in Europa zu ermöglichen, um die erlernten Fähigkeiten nach der eventuellen Rückkehr anwenden zu können. Auch der Grad der Freiwilligkeit der Rückkehr könnte damit ansteigen, was in vielerlei Hinsicht die Reintegration im Herkunftsland begünstigt.

Eine stärkere Kohärenz mit dem Ziel, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen, kann für die Komponenten von Perspektive Heimat konstatiert werden, die nichts mit Rückkehr zu tun haben, sondern sich um die vielbeschworene „Fluchtursachenbekämpfung“ bemühen: Die Migrationsberatungszentren und die GIZ-Projekte, in die Programmgelder fließen, haben ja in erster Linie das Ziel, Menschen von der Migration  nach Europa abzuhalten, indem „Informationslücken“ zur „irregulären“ Migration geschlossen werden, wie es euphemistisch im Flyer des senegalesischen Migrationsberatungszentrums heißt. Der Fokus auf den lokalen Arbeitsmarkt solle darüber hinaus dem „Erfolgsmythos Migration“ etwas entgegengensetzen. „Verbleibsberatungszentren“ wäre dann vielleicht der ehrlichere Name. Es bleibt aber dabei: Insbesondere der Aspekt der beratenden Einzelfallhilfe in Verbindung mit individuellen Rückkehrprämien, die im Rahmen des „kohärenten Ansatzes“ mit Perspektive Heimat verbunden werden, entspricht nicht dem strukturbildenden Anspruch der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit.

Diese Verzahnung mit den BMI-Programmen findet ohnehin nur bedingt statt: Große Rückkehrprogramme, die von BMI bzw. BAMF orchestriert werden, etwa „Starthilfe Plus“ oder das „European Return and Reintegration Network“ (ERRIN) haben mit Perspektive Heimat letztlich nichts zu tun. Das hat mit dem deutschen Ressortprinzip zu tun und damit, dass sowohl BMI als auch BMZ zu Beginn des neuen politischen Rückkehr-Hypes nach dem Sommer 2015 schnell liefern mussten. Augenscheinlich wird das daran, dass auch das BMI, in Kooperation mit der IOM, eine eigene Rückkehr-Homepage ins Leben gerufen hat, die parallel zu der des BMZ läuft. Dafür wird auf der Seite des BAMF Perspektive Heimat bei den „Reintegrationsprogrammen“ nicht erwähnt.

Eine „gemeinsame Rückkehrinitiative“ entsteht nicht allein dadurch, dass man sie immer wieder beschwört. Das heißt nicht, dass eine höhere Kohärenz der Programme automatisch zu einem Qualitätsanstieg oder einer gerechteren deutschen Rückkehrpolitik führen würde: „Starthilfe Plus“, das Barprämien für den Rückzug aus dem Asylverfahren bietet, ist an sich kritikwürdig, selbst, wenn es stärker mit Perspektive Heimat verbunden würde. Zielführender wäre das bei ERRIN, das in seiner aktuellen Form Existenzgründungen von Rückkehrerinnen und Rückkehrern fördert, ohne dahinterstehende strukturbildenden Maßnahmen. Eine stärkere Verbindung mit Perspektive Heimat könnte hier unter Umständen zu einer besseren Nachhaltigkeit der Förderung führen.

Der Verdacht, dass BMZ und GIZ in gewisser Weise als Erfüllungsgehilfen einer restriktiven Rückkehrpolitik agieren, ist auch knapp zwei Jahre nach Programmstart von Perspektive Heimat nicht ausgeräumt, unabhängig von Fragen der politischen Kohärenz. Ein reiner Fokus auf die Frage der „erfolgreichen“ oder „nachhaltigen“ Reintegration verstellt einen kritischen Blick auf grundsätzliche Fragen der Rückkehrpolitik. Entwicklungszusammenarbeit wird so zur Legitimationsstrategie ordnungspolitischer staatlicher Ziele. Das BMZ und das Bundesunternehmen GIZ haben eigentlich andere Aufgaben.

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