Werben gegen Asyl

Gedanken zur „Rumours about Germany“-Kampagne

Von Nerges Azizi und Dana Schmalz

 

Unter dem Titel „Rumours about Germany“ informiert das Auswärtige Amt seit Oktober 2017 über die Möglichkeiten, in Deutschland Schutz zu erhalten. Auf Englisch, Französisch und Arabisch finden sich dort „vertrauenswürdige Fakten“ in kurzen Texten, handlich sortiert nach drei Kategorien: „Sicher, dass Sie aufbrechen möchten?“ – „Sie sind schon unterwegs?“ – „Sie müssen zurückkehren?“ Die so organisierten Kurzinformationen sind größtenteils als Fragen formuliert, unterschrieben mit „richtig oder falsch?“ und Antwort erscheinen nach Anklicken. Dieses Format der Ratemöglichkeit entbehrt nicht eines gewissen Zynismus. So können Schutzsuchende beispielsweise tippen: „Werden Sie nach zwei Stunden in einem Schlauchboot gerettet werden?“ Die Antwort des Auswärtigen Amtes: „Nein. Das versprechen Ihnen die Schleuser, aber: Rettungsmissionen könnten nicht dort sein, wo sich Ihr Boot befindet. Selbst wenn sie es sind, sind Ihre Chancen, aufgelesen zu werden, extrem gering – insbesondere wenn Schleuser Ihr Schlauchboot ohne Motor treiben lassen. Die Reise bleibt sehr gefährlich und kostet weiterhin tausende Leben.“

 

Rechtlich korrekt?

Viele der Fragen beziehen sich auf vage Einschätzungen: Wird Ihr Leben in Deutschland einfach sein? – Nein. Werden die Grenzbeamten Sie finden? – Ja. Werden Sie mit Ihrem Englisch in Deutschland durchkommen? – Nein. Die unterschwellige Botschaft ist klar: Es wird richtig hart für Schutzsuchende. Dafür scheut die Informationskampagne keine Vereinfachungen. Problematisch sind diejenigen Frage-Antwort-Paare, die in ihrer Vereinfachung selbst irreführen: So lautet die Antwort auf die Frage „Werden Sie zwangsweise abgeschoben, wenn Sie illegal kommen?“ – „Ja“. Das ist rechtlich falsch. Die illegale Einreise ist kein Ausweisungsgrund; sie ist nach dem Pönalisierungsverbot des Art. 31 I GFK auch straflos. In der Ausführung der Antwort wird dann zwar die Ablehnung des Asylgesuchs als Ausweisungsgrund genannt – dennoch ist die Beantwortung der Frage in dieser Weise irreführend.

Ebenso falsch bzw. irreführend ist die Erklärung zur Frage, ob sich der Anspruch auf Schutz nach der Staatsangehörigkeit bestimmt: Nein, heißt es da, nur wer verfolgt wurde oder ernsthaften Schaden erlitten hat. Das ist nicht richtig. Relevant ist nicht, was man bereits erlitten hat, sondern die begründete Furcht vor Verfolgung bzw. die Gefahr eines ernsthaften Schadens. Auch hier findet sich in der längeren Ausführung der Verweis auf die GFK und das deutsche Asylrecht – die zusammenfassende Kurzinformation ist aber schlicht nicht korrekt.

Man mag diese Hinweise kleinlich finden. Schließlich ginge es nicht darum, detaillierte Kenntnisse des deutschen Asylrechts zu vermitteln. Doch worum geht es eigentlich? Laut Selbstbeschreibung der Webseite ist der Zweck, dass „potentielle und gegenwärtige Migranten […] sich nicht auf die falschen Informationen und Gerüchte, die Schleuser verbreiten, verlassen müssen“. Das Ziel der Webseite sei nicht abzuhalten, sondern zu informieren. „Die Entscheidung, sich auf die gefährliche Reise nach Europa zu machen, ist eine so wichtige, dass sie sich auf Tatsachen, nicht Gerüchte stützen sollte.“ Dann sind akkurate Informationen über anerkannte Fluchtgründe aber zentral, ebenso wie über die Straflosigkeit der irregulären Einreise. Eine ausgewogene Information würde Migranten und Asylsuchende nicht nur über Gefahren und mögliche Widrigkeiten, sondern auch über ihre Rechte aufklären. Doch solche Fakten kommen in der Aufklärungskampagne des Auswärtigen Amts praktisch nicht vor.

 

Werben gegen Deutschland – schon in Afghanistan

Die Webseite „Rumours about Germany“ gibt es erst einige Monate, aber die Kampagne reicht länger zurück. Die deutsche Botschaft in Kabul betreibt sie seit 2015; auf ihrer Webseite finden sich die entsprechenden Online-Banner, diesmal Versionen auf Englisch, Dari und Pashtu. Aber nicht nur online findet das Werben gegen Deutschland statt, auch auf großflächigen Postern auf Bussen und in den Straßen, sowie über Video-Clips im Fernsehen und soziale Medien wie Twitter und Facebook. Dahinter steht zunächst die Erzählung, dass es sich nicht lohnt, aufzubrechen. Die Kampagne richte sich gegen die gezielten Falschinformationen der Schleuser, so das Auswärtige Amt. Auch in Pakistan sowie einigen nordafrikanischen und westafrikanischen Staaten wurde die Kampagne 2015 initiiert, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie in Afghanistan. (Erläuterungen zu den nach Staaten unterschiedenen, gezielten „Informationsmaßnahmen“ finden sich auch hier.) Die Inhalte der afghanischen Kampagne entsprechen überwiegend den obengenannten, mit ein paar besonderen Aspekten. So heißt es auf einem der Banner: „Indem Sie aus Ihrem Heimatland fliehen, bringen Sie sich und Ihre Familie in Gefahr. […]“ Das ist eine erstaunliche Aussage. Es ist die Annahme des internationalen Flüchtlingsrechts, dass Menschen gerade fliehen, weil sie allen Grund haben, sich bereits in Gefahr zu wähnen. Es ist Teil der furchtbarsten Aspekte von Flucht, wenn die Familie des oder der Geflohenen dadurch in zusätzliche Gefahr gerät. Diese Zusammenhänge als Verantwortungslosigkeit des Fliehenden zu rahmen, ist keine Aufklärung, es ist eine Verdrehung.

Diese Erzählung von einer Verantwortung gegenüber dem Heimatland, findet sich ausführlich auch in einer anderen Kampagne, der Webseite AfghanistanNeedsYou. Hierbei handelt es sich um eine private Initiative, die in großem Maße gegen die Emigration und für den Verbleib in Afghanistan wirbt. Eine Dokumentation berichtet über Enttäuschungen und die extrem harten Lebensbedingungen afghanischer Flüchtlinge in Europa. Auf diversen Kanälen – von sozialen Medien über in riesiger Zahl verschickten SMS bis hin zu Graffiti – wird der Spruch „Afghanistan braucht dich“ verbreitet und unterfüttert. Es lohnt, die Kampagne näher zu betrachten. Weder um über ihre Unterstützung von staatlicher Seite zu spekulieren, noch um der Botschaft pauschal zu widersprechen. Sondern um zu verstehen, dass ein solches Narrativ gefährlich werden kann.

Gefährlich wird es, wenn das Motiv der Verantwortung für das „eigene“ Land nutzbar gemacht wird, um internationales oder europäisches Recht zu umgehen. Internationales Recht umfasst das Recht, jedes Land zu verlassen, einschließlich des Landes der eigenen Staatsangehörigkeit. Europäisches Recht umfasst die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in ihrem Geltungsbereich Staaten zum Schutz von Personen verpflichtet, denen bei Abschiebung unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde. Das Recht der Europäischen Union umfasst weiter das Recht auf ein individuelles Asylverfahren. Die Freiheit auszureisen und anderswo Schutz zu suchen, ist nicht durch ein Interesse Afghanistans begrenzt, Staatsbürgerinnen im Land zu behalten. Vor allem aber ist sie nicht durch ein Interesse Deutschlands begrenzt, im Gegenzug für militärische und zivile Unterstützung keine Asylsuchenden aus Afghanistan mehr zu empfangen. Doch genau diesen Zusammenhang macht der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière, immer wieder stark: Nachdem Deutschland so viel in die Sicherheit und den Wiederaufbau in Afghanistan investiert hat, könne es nicht sein, dass Menschen von dort fliehen. Man könne „erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.“

Dass man das nicht erwarten kann, zeigen die Anerkennungsquoten von afghanischen Asylsuchenden in Deutschland. Selbst nachdem die Entscheidungspraxis in 2016 merklich repressiver geworden ist, erhalten rund 45% afghanischer Asylsuchender im Jahr 2017 Schutz. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Versuch, Personen von der Reise und Antragsstellung abzuhalten, zur Hälfte auf solche zielt, welche das Recht als schutzbedürftig einstuft. Dass das hingenommen wird, spiegelt die Perspektive, nach welcher selbst ein rechtlich einwandfreier Schutzanspruch in Deutschland einen verzichtbaren Luxus darstellt. Nicht anders lassen sich große Teile der Kampagne „Rumours about Germany“ verstehen, nicht anders die immer höheren Anreize, schon vor Abschluss des Asylverfahrens freiwillig auszureisen (vgl. dazu auch hier).

 

Asylanspruch als verzichtbarer Luxus?

Die Darstellung, dass der rechtliche Anspruch auf Schutz in Deutschland ein verzichtbarer Luxus ist, verbindet sich mit einem weiteren Motiv, das sich durch die Webseite zieht: Entwicklungshilfe vor Ort statt Schutz in Deutschland. Es finden sich Verweise auf Hilfsprojekte in Somalia und im Sudan, auf gezielte Unterstützung von Flüchtlingen im Nahen Osten und die Bemühung, dort Arbeitschancen zu schaffen, auf eine zurückkehrende Stabilität im Irak. Ist mehr Hilfe in Herkunftsregionen wirklich die Vision der Zukunft? Es war die Parole der vergangenen Jahrzehnte, wobei die Hilfe immer dann besonders großzügig floss, wenn andernfalls eine Migration weiter nach Europa „drohte“, „to stem the exodus“.

Schon jetzt konzentrieren sich Flüchtlinge zu großen Teilen in wenigen Staaten meist in der Nähe ihrer Herkunftsländer im Globalen Süden. Bei den Verhandlungen zu einem Global Compact on Refugees steht das Thema der Verantwortungsteilung im Zentrum, und damit die Forderung an wohlhabende Staaten des Globalen Nordens, nicht weniger Personen aufzunehmen, sondern mehr. Natürlich ist das nicht die Aufgabe Deutschlands allein, natürlich war die Zahl der in 2015 und 2016 aufgenommenen Flüchtlinge hoch. Aber bevor man sich zurücklehnt und Webseiten, die letztlich nicht der Information, sondern der Abwehr dienen, erstellt, muss man überlegen, auf wessen Rücken dieser Kampf geführt wird. Auf dem Rücken vieler, die von der Wahrnehmung ihrer in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegten Rechte abgehalten werden sollen.

 

Die Zitate in dem Beitrag wurden von den AutorInnen aus dem Englischen übersetzt.

 

Anmerkung, 23. Januar 2018: In Reaktion auf den Blogbeitrag wurden vom Auswärtigen Amt die zwei Stellen korrigiert, auf denen unter dem Absatz “Rechtlich korrekt?” hingewiesen wird. Die Autorinnen begrüßen diese Änderungen.

 

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